In jedem Gespräch sind nicht nur unsere erwachsenen Stimmen beteiligt. Oft melden sich jüngere Anteile, die in alten Mustern reagieren. Gerade in Konflikten sind es diese verletzten oder kindlichen Stimmen, die laut werden – während reifere Anteile in uns die Fähigkeit haben, zu reflektieren und neue Wege zu öffnen.
Es sprechen immer Anteile.
Manchmal die Stimme des Kindes,
manchmal die des Erwachsenen,
und manchmal beides zugleich.
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Wenn wir streiten, fühlt es sich oft an wie früher:
Wir kämpfen um die blaue Schaufel im Sandkasten oder darum, besser und schneller zu sein. Solche Konflikte sind selten neu – sie wiederholen alte Erfahrungen, die in uns noch lebendig sind.
Doch neben diesen jungen Anteilen gibt es auch reifere Stimmen in uns: die, die Abstand nehmen können, die das Ganze betrachten und erkennen, dass es mehr als nur Schwarz oder Weiß gibt. Diese Stimmen laden uns ein, Konflikte nicht nur auszutragen, sondern an ihnen zu wachsen.
Ein achtsamer Umgang mit unseren Anteilen bedeutet nicht, die jüngeren Stimmen zum Schweigen zu bringen. Es heißt, sie zu hören – und zugleich die reiferen Anteile zu stärken, die uns ermöglichen, neue Handlungsmöglichkeiten zu sehen.
Übung: Wer spricht gerade in mir?
Denke an ein aktuelles Gespräch oder einen Konflikt.
Spüre in dich hinein und frage: „Welcher Anteil in mir meldet sich gerade?“
– Kindlich-verletzt, fordernd, ängstlich?
– Oder erwachsen-reflektierend, klar, fürsorglich?
Schreibe die Antwort in zwei kurzen Sätzen auf.
Wiederhole den Schritt mit dem Anteil deines Gegenübers – so gut du es wahrnehmen kannst.
Frage dich: „Wie könnte das Gespräch verlaufen, wenn die reiferen Anteile mehr Raum bekämen?
In jedem von uns lebt ein inneres Miteinander. Stimmen, Gefühle, Impulse – sie alle gehören zu uns, auch wenn sie sehr unterschiedlich wirken. Manchmal begegnen sie sich friedlich, manchmal geraten sie in Konflikt. Immer jedoch sprechen innere Anteile – und die Frage stellt sich:
Wer spricht gerade – und wer hört zu?
Diese Bildreihe im Anschluss lädt dazu ein, die verschiedenen Anteile im eigenen Inneren zu erkennen, ihnen Raum zu geben und sie bewusst in Beziehung zueinander zu bringen.
Die jungen Anteile
Sie sind verletzlich, hilflos, schnell überfordert. Sie tragen oft Traumaaspekte – aus der eigenen Geschichte, aus transgenerationalem oder kollektivem Erbe. Junge Anteile suchen Sicherheit, Verständnis und einen geschützten Raum im Herzen. Hier braucht es Achtsamkeit, Begleitung und Zeit.
Das Adaptive Child
Es ist der Beschützer in uns. Es will angreifen, verteidigen, weglaufen oder recht haben. Es kämpft aus einem alten Mangelbewusstsein heraus und sorgt dafür, dass die verletzlichen inneren Kinder nicht wieder verletzt werden. Sein Impuls ist kraftvoll, aber oft nicht dem Heute angemessen.
Das erwachsene Ich
Es ist handlungsfähig, klar, präsent. Mit seinen Werkzeugen meistert es den Alltag, koordiniert, organisiert, handelt aus Verantwortung. Es sieht die Dynamiken des Opfer-Täter-Retter-Spiels und kann sich bewusst davon lösen. Das erwachsene Ich ist der verlässliche Boden, auf dem unser Leben ruht.
Das große Ich
Es ist die weite, stille Instanz. Sie schaut, lauscht, benennt – ohne zu reagieren. Sie bezeugt alles, ohne verstrickt zu sein. Das große Ich schenkt Übersicht, Tiefe und Weite. Es ist wie eine weise alte Stimme in uns, die das Ganze hält.
Die Einladung
Diese vier Ebenen bilden gemeinsam eine innere Landkarte. Wenn wir lernen zu unterscheiden, wer in uns gerade spricht, gewinnen wir Freiheit. Wir können innehalten und wählen:
So entsteht innere Balance – und mit ihr die Möglichkeit, auch im Außen bewusster, liebevoller und wahrhaftiger in Beziehung zu treten.
Dieses Modell ist ein Kompass für die eigene innere Reise. Es zeigt, dass wir viele Stimmen in uns tragen – und dass Gesundung dort beginnt, wo wir lernen, sie alle zu hören, zu bezeugen und in einen größeren Zusammenhang zu stellen.